Die unendliche Gainschichte
Es ist 21:00 als ich München nach einer 4,5-stündigen Zugfahrt erreiche. Der Tag hatte es in sich: aufreibende Diskussionen mit Kollegen, direkt im Anschluss ein mehrstündiger Kunden-Workshop und dann direkt zum Bahnhof, um den vollgestopften Zug zu erwischen.
Mit der vorbereiteten Trainingstasche steige ich ins Taxi und gebe dem Fahrer die Adresse zum Gym meiner Wahl. Zuvor hatte ich telefonisch abgeklärt, ob ich ein Probetraining absolvieren dürfe. Um 21:30 beginne ich mit dem Warm-Up für Squats.
Um 22:45 ist Ende – ich habe das Workout beschleunigt, da ich noch einen weiten Weg ins Hotel habe und am nächsten Tag fit für die Konferenz sein will. Zugegeben, das war nicht die produktivste Einheit, die je absolviert habe. Aber ich habe sie absolviert und darf sie auf meinem Trainings-Konto verbuchen.
Wie alles begann
Mai 1997 – als 11-jähriger bekomme ich von Mama einen Comic geschenkt.
Es war mein erster Superhelden-Comic und es sollten noch viele folgen. In den Comics handelte es sich um echte Helden mit großartigen Fähigkeiten und jede Seite war hervorragend gezeichnet. Außerdem war jeder Held ausgesprochen muskulös (dass Batman als einziger „Normalsterblicher“ wohl auf Stoff gewesen sein musste, um mit den anderen mithalten zu können wusste ich damals noch nicht). Die Faszination für Comics und Superhelden war ab diesem Moment geweckt – lange bevor DC und Marvel die Kinoleinwand für sich beanspruchten.
Schnellvorlauf zur letzten Turnstunde meines Lebens, kurz vor Abschluss meiner Matura. „Ab sofort zwingt euch keiner mehr Sport zu machen. Wenn ihr Sport machen wollt, müsst ihr euch selbst darum kümmern.“ Leibesübungen war nie mein Lieblingsfach. Es wurde viel Fußball gespielt – mich hat die Faszination Fußball bis heute nicht gepackt. Ich gehörte daher zu den vier Nerds auf der Bank, die jede zweite Stunde nach Ausreden suchten, warum sie dieses Mal nicht mitmachen konnten. Die gewonnene Zeit nutzten wir dann für intensive Gespräche über Computerspiele und Tabletops, was zugegeben auch seinen Charme hatte.
Aber der Abschlusssatz meines Lehrers blieb bei mir hängen und löste etwas aus. Ich hatte zuvor schon 1-2 Anläufe gestartet meinen Superhelden-Idolen nachzueifern. Über 2 Wochen täglich Push-Ups kam ich jedoch nie hinaus. Dieses Mal war das anders und ich machte mir die Macht des Internets zu Nutze, um mich über strukturiertes Training zu informieren.
Die Reise beginnt
Zunächst waren es reine Körpergewichtsübungen aber der Muskelzuwachs ging mir zu langsam und ich stieg nach zwei Jahren auf Freihanteln im Homegym um. Freie Gewichte, so dachte ich, wären der Schlüssel. Damit konnte ich meine Progression auf das Kilogramm fein dosieren. Ich beschäftigte mich also mit komplexen Freihantelübungen und lernte meinen Körper gegen den Widerstand in Form von Lang- und Kurzhanteln zu bewegen.
Wenn ich nicht trainierte, informierte ich mich im Internet über das nächste „goldene Programm“ und suchte weiter nach dem „einen Schlüssel“, der das Tor zu meinem maximalen Muskelwachstum zu öffnen vermochte.
Was mache ich falsch?
Ich wurde stärker und muskulöser und suchte wie die meisten testosteron-gesteuerten Mitt-Zwanziger den Vergleich. Zunächst online in Trainingsforen, dann direkt im Diskont-Gym. Doch der Vergleich hielt nicht stand. Viele erreichten mehr in weniger Zeit, manche waren bereits zu Beginn stärker oder breiter, als ich es nach Jahren des Trainings war oder jemals werden würde.
Ich war überzeugt im Training nichts falsch zu machen und solide Trainingspläne auszuführen. (Rückblickend gesehen waren tatsächlich keinen großen Fehler dabei) Trotzdem wuchs ich nicht so wie ich es mir vorstellte und die Lust am Training schwand. Die Lustlosigkeit resultierte in ausgefallenen Trainingstagen oder sogar wochenlangen Trainingspausen, die ich wiederum für Computerspiele nutzte. Immer erkannte ich nach mehreren Wochen wenig kontinuierlichen Trainings, dass kein Training auch keine Lösung sei und nahm neuen Anlauf. Meist mit einem neuen Programm, von dem ich mir versprach, dass es endlich die Lösung sei – sozusagen endlich meinen genetischen Code knacken würde. Dieses Verhalten verwandelte sich in einen Teufelskreis:
Dieser Teufelskreis der Schmalheit wiederholte sich 8 verdammte, lange Jahre. Acht. ACHT! Acht Jahre an denen ich mir regelmäßig zu Silvester (New Year – New Me, haha) die Sinnfrage stellte. Jedes Mal kam ich wieder zum Schluss, dass ich nicht besser werden würde, wenn ich das Training komplett an den Nagel hängen würde. Trainingsstopp war also keine Option. Trotzdem wiederholte ich jedes Jahr aufs Neue den gezeichneten Kreislauf und trainierte einfach nur vor mich hin.
Meine Gainaissance
Da ich mich bereits viele Jahre intensiv mit Krafttraining beschäftigt hatte, kam bei mir irgendwann der Punkt, wo ich glaubte nichts Neues mehr Lernen zu können. 2015 erkannte ich, dass nichts ferner der Wahrheit sein konnte. Die Fitness-Branche hatte längst Einzug auf Youtube gefunden und inzwischen gab es hochqualitative detaillierte Technik-Videos zu allen wichtigen Grundübungen. Durch diese Videos erkannte ich Fehler in meiner Technik und es war mir möglich an diesen zu arbeiten. Kurzerhand war der Squat „aufgeräumt“ und konnte sich durchaus sehen lassen.
2016 machte ich meine erste über fünf Monate geführte Diät und erkannte, dass ich zwar keine überdurchschnittliche Genetik zum Muskelaufbau hatte, aber es mir leicht fiel „shredded“ zu werden. Die Nachher Bilder sahen zum ersten Mal nach Superheld aus – zumindest Spiderman könnte ich glaubhaft verkörpern.
In diesem Jahr entdeckte ich außerdem Eric Helms von 3DMJ und viele weitere Vertreter der Evidence Based Community. Ich entdeckte Quellen, die nüchtern die Prinzipien erklären, anstatt „Quick Fixes“ zu versprechen. Endlich weg vom „Hören-Sagen“ und Bro-Science aus diversen Internet-Foren und hin zu, mehrfach durch Studien belegten, Fakten. Plötzlich hatte ich Zugang zu Informationen, die Antworten auf das „Warum“ hinter vielen Fitness-Fragen lieferten. Plötzlich waren Begriffe wie Low Carb, Low Fat, High Volume, High Intensity, Ganzkörper oder 5er Split nicht mehr wichtig. Ich verstand, dass diese Begriffe keine Wundermittel sind, sondern Tools und ich verstand wann und warum man diese einsetzt.
Mein Feuer war aufs Neue geweckt und brennt seither heller als je zuvor. Dieses Mal jedoch nicht ausgelöst durch ein glitzerndes Trainingsprogramm, das nach einigen Wochen seinen Glanz verloren hatte, sondern durch fundiertes, nachhaltiges Wissen und viel wichtiger – Gewissheit.
Es folgte der Start der Zusammenarbeit mit Alberto Nunez, die Shredded by Science Ausbildung (heute: Personal Trainer Collective), und die Ausbildung zum Intelligent Strength Coach. Zu jeder dieser Reisen könnte ich eigene Blog-Artikel schreiben. Vielleicht mache ich das auch einmal.
Seither gibt es keine ungeplanten Trainingspausen mehr. Eine Dienstreise wäre früher für mich ein trainings-verhindernder Grund gewesen. Heute verstehe ich, dass viel weniger das “magische” Trainingsprogramm, sondern Kontinuität der Schlüssel zum Erfolg ist. Daher stelle ich mir nicht die Frage „Soll ich in München trainieren?“, sondern „In welchem Gym werde ich in München trainieren?“.